Peter Gold: Uganda 2009
Kategorien: Uganda, Berggorillas, Reiseberichte
Begegnung mit dem Silberrücken
Gorilla Charles ist ein stattlicher Silberrücken und Chef von sieben Artgenossen. Morgens um 10 gibt er sich auf einer dicht mit Stauden und einzelnen Büschen bewachsen Lichtung im Bergregenwald an den steilen Hängen der Virunga-Vulkane in Ruanda einem ersten Verdauungsnickerchen hin. Seine Familienmitglieder, um ihn herum verteilt, tun es ihm gleich. Die friedliche Szene bekommt geradezu einen paradiesischen Hauch durch die Tatsache, dass acht Touristen aus nur wenigen Metern Entfernung das Familienleben ihrer Blutsverwandten beobachten. In der Vergangenheit verliefen Begegnungen von Mensch und Menschenaffen in der Regel nicht so friedlich. Die Kunde vom Riesenaffen soll der Phönizier Hanno 460 vor Christus aus Westafrika mitgebracht haben. Es war ein blutiges Treffen, von dem der phönizische Feldherr ein paar Affenfelle als Beleg nach Karthago mitnahm. Seit dieser Zeit haben diese Menschenaffen ihren Namen Gorilla weg, was soviel wie „Kratzer“ bedeuten soll. Aber wie sehr sich der Gorilla auch mit Beißen und Kratzen über die Jahrhunderte wehrte, gegen den mit einem mickrigen Körper, dafür aber mit einem großen Gehirn ausgestatteten kleinen Verwandten, den die Zoologen spätestens seit Darwin mit den Menschenaffen zu den Primaten zählen, bleibt die Affen-Kreatur bis in unsere Tage chancenlos. Zwar verfolgt man die armen Gorillas nicht mehr, um sie in Museen und Zoos auszustellen, ihr Leben lassen die sanftmütigen Riesen aber nach wie vor noch, um hungrige Mäuler zu stopfen. Ferner kann man sie zu begehrten Jagdtrophäen und Reisesouvenirs verarbeiten. Besonders gefährlich für die Existenz aber sind der hohe Bevölkerungsdruck in den Ländern ihres afrikanischen Verbreitungsgebietes und immer wieder aufflammende kriegerische Auseinandersetzungen. Beide Faktoren engen den Lebensraum der großen Waldaffen mehr und mehr ein. Um auf die Gefährdung der Gorillas aufmerksam zu machen, haben die Vereinten Nationen 2009 zum „Jahr des Gorillas“ erklärt. Mit zu den gefährdetsten Gorillas gehören die etwa 700 Berggorillas, die im Grenzgebiet von Kongo, Uganda und Ruanda leben. So richtig bekannt wurde das Schicksal dieser Berggorillas aber erst durch die Forschungen der Amerikanerin Dian Fossey. Die Affenforscherin widmete ihr ganzes Leben diesen Menschaffen und zeigte, dass es sich bei den als gefährlichen Waldmonstern verschrienen Tieren um ausgesprochen friedfertige Wesen handelt. Die Einheimischen wissen das schon lange. In vielen afrikanischen Ländern gilt ein vom Gorilla gebissener Mensch als Angsthase und Feigling.
Heute gibt es neben den weiterhin wilden Affengruppen, Familien für wissenschaftliche Beobachtungen und sieben an den Menschen gewöhnte Sippen. Letztere sind die Voraussetzung für das inzwischen populär gewordene Beobachten von Gorillas in freier Natur durch Otto-Normalverbraucher. Wer einmal einem Gorilla von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen möchte, wird im Hauptquartier der Wildhüter im Virunga-Nationalpark über die wichtigsten Benimmregeln informiert: Anstarren ist verboten, denn es gilt in Affenkreisen als aggressiv. Mit ausgestrecktem Arm auf ein Mitglied der Affensippe zu zeigen, ist ein Tabu, denn es kann als Wurfattacke verstanden werden. Zwar ist ein Sicherheitsabstand von sieben Metern einzuhalten, nähert sich einem aber ein Gorilla, aus welchem Grund auch immer, ist Weglaufen lebensgefährlich. Einen Berggorilla Anniesen ist nicht nur unfein, sondern kann für den Riesenaffen tödlich sein. Mensch und Menschenaffe sind durch 97% gemeinsamer Gene jeweils anfällig für die Krankheiten des anderen. Die Regeln sind im eigenen Interesse einzuhalten. So ein Silberrücken bringt 200 kg auf die Waage, hat eine Schulterbreite von einem Meter, eine Armspannweite von 2,75 Meter, und es sind keine trennenden Glasscheiben, keine breiten Wassergräben und keine schützenden Elektrozäune vorhanden. Der Affenhäuptling Charles fühlt sich durch den Besuch der menschlichen Verwandtschaft nicht im Geringsten irritiert und zeigt keinerlei Reaktion auf die Störenfriede seiner wohlverdienten Pause. Bereits seit dem ersten Tageslicht auf den Beinen, benötigt der reine Vegetarier zunächst einmal ein ausgiebiges Blätterfrühstück. Das Grünzeugbüfett ist reichhaltig und abwechslungsreich. Um nicht vom Fleisch zu fallen, muss so ein Fleischkoloss bis zu zwanzig Kilogramm Pflanzen verspeisen. Infolge der Größe und des Gewichts der Tiere geschieht das gewöhnlich vom Boden aus. Um den geringen Energiegehalt der Nahrung auszuschöpfen, sind zusätzlich Verdauungspausen notwendig. Jedes der Tiere liegt oder sitzt alleine für sich im Pausennest aus Pflanzen herum und ist mit sich selbst beschäftigt. Charles Aktivitäten beschränken sich darauf, auf dem Rücken oder der Seite zu liegen. Im Zeitlupentempo führt er die Hand zum Fuß, was ein bisschen wie eine Dehnübung aussieht, bevor er seinen massigen Körper in Sitzposition bringt. Immerhin rafft er sich noch gerade einmal dazu auf, sich am Ohr zu kratzen und anschließend seine Fingernägel zu begutachten. Anstatt sich, wie man das von einem richtigen King Kong erwartet hätte, aufzurichten, mit beiden Händen auf die Brust zu trommeln und einen seiner 20 Verständigungslaute hinauszubrüllen, fängt Charles auch noch an zu gähnen. Allerdings das gleich dreimal. Dabei sieht man immerhin sein kräftiges Gebiss und bekommt einen Eindruck, wie er im Ernstfall damit zubeißen könnte. Selbst durch die Damen der Besuchergruppen lässt sich Charles nicht zu einem Menschenfrauenraub provozieren. Längst hat er in seinem Silberrückenleben als Pascha seiner Gruppe Eugen Roths Erkenntnisse über den Gorilla intuitiv erfasst und in die Tat umgesetzt:
„Nicht nötig hätt ers hierzulande,
Wo doch – oh, welche Affenschande!-
Die Weiber, denn das Weib ist schwach, Selbst laufen jedem Affen nach.“
Dass es in Sachen Liebe nicht ganz so einfach ist, zeigen die wissenschaftlichen Untersuchungen. Danach ist der Boss der Gruppe nicht immer der leibliche Vater der Nachkommen seiner Affenfrauen, sondern andere Affenmänner haben es verstanden, die Gunst der Stunde zu nutzen. Schließlich zieht die ganze Berggorillasippe weiter, um sich wieder dem Fressen zu widmen. Fressen und Ruhen spielen sich mehrmals am Tag ab, bis sich die Tiere gegen Abend ihre Schlafnester bauen. Wie lange sie das noch können, hängt vor allem von dem Schutz ihres Lebensraumes ab. Der Besuch von Touristen spielt dabei eine wichtige Rolle. Jeder Besucher muss nämlich allein für die Teilnahmegenehmigung am Gorilla-Trekking schon 375 € bezahlen. Bei 17089 Besuchern im Jahr 2008 spült das ein hübsches Sümmchen in die Staatskasse. Hinzu kommt, dass jeder Tourist auf einen lokalen Transport angewiesen ist, von Hunger und Durst geplagt wird und übernachten muss. Sogar das Geschäft mit geschnitzten und Schuhcreme schwarz eingefärbten Holzgorillas floriert. Längst gibt es mehr Holzgorillas in den Souvenirläden als Originale im Regenwald unterwegs sind.