Gorillaforschung modern

Kategorien: Gorilla Journal, Ausgabe 57, Gorillagruppen, Verhalten, Sonstige Länder, Sonstige Schutzgebiete, Westliche Flachlandgorillas

Schematische Darstellung der Gruppenrekonstruktion anhand der Auffindungsorte der Proben. Das Prinzip beruht auf dem Abstand zwischen Proben, die am selben Tag gefunden wurden (oben) und Koassoziation (Mitte). Der untere Teil zeigt einen Gruppenwechsel. (© Laura Hagemann)

Viele Primaten koordinieren ihre Aktivitäten, teilen sich Lebensräume und bilden Gruppen. Doch wie entstehen Gruppen, wie lange bestehen sie und wie oft wechseln Individuen die Gruppe? Das wollten wir in einem Forschungsprojekt in Loango herausfinden.

Die Beantwortung dieser Fragen ermöglicht Einblicke in Sozialsysteme, genetische Strukturen, aber auch in Übertragungswege von Infektionskrankheiten.

Gruppen sind keine isolierten, statischen Einheiten, sie sind vielmehr Teil eines dynamischen Systems, das durch Auflösung und Neugründung genauso charakterisiert wird wie durch den Wechsel einzelner Tiere. Um das komplexe Zusammenspiel mit klassischen Methoden zu verstehen, müssten mehrere Gruppen über Jahre beobachtet werden, was bei langlebigen und scheuen Arten wie den Gorillas sehr kostspielig und langwierig ist.

Westliche Flachlandgorillas leben typischerweise in Gruppen, die aus einem erwachsenen Männchen (dem Silberrücken) und mehreren erwachsenen Weibchen bestehen. Sowohl männliche als auch weibliche Tiere verlassen ihre Geburtsgruppe. Oft wechseln weibliche Gorillas ihre Gruppe mehrmals; sie schließen sich entweder einer anderen Gruppe an, wenn es zu einer Begegnung zwischen Gruppen kommt, oder suchen sich eine neue Gruppe, wenn sich ihre Gruppe nach dem Tod des Silberrückens auflöst. Männchen wechseln normalerweise nicht direkt von einer gemischten Gruppe zu einer anderen, sondern ziehen zunächst allein umher oder schließen sich zu reinen Junggesellengruppen zusammen. Gemischte Verbände mit mehreren erwachsenen Männchen gibt es bei Westlichen Flachlandgorillas im Unterschied zu Berggorillas nicht. Doch wusste man bislang wenig darüber, wie oft sich Gruppen auflösen oder neu formieren.

Mit modernen Methoden ist es nun aber gelungen, gruppendynamische Prozesse bei Westlichen Flachlandgorillas zu dokumentieren. Dazu analysierten wir DNA-Fragmente aus Kotproben, gesammelt in zwei verschiedenen Untersuchungszeiträumen: 2005-2007 (veröffentlicht in Arandjelovic et al. 2010 und 2014) und 2014-2017. Wir hielten fest, wo und wann wir die Proben gefunden hatten und erstellten anhand der DNA-Fragmente die genetischen Fingerabdrücke einzelner Tiere. So konnten wir die Spuren von Individuen gewissermaßen durch die Zeit zurückverfolgen und die Geschichte von 144 Gorillas und 19 Gruppen nachvollziehen.

Für die Studie wurden Kotproben in einem rund 100 km² großen Gebiet im Loango-Nationalpark in Gabun gesammelt, einem einzigartigen Ökosystem mit einem Mosaik aus Savanne, offenen Küstenwäldern, dichten Sekundärwäldern und Sümpfen. Westliche Flachlandgorillas, Schimpansen, Waldelefanten und zahlreiche weitere Arten leben dort.

In einem so großen Gebiet ist das Sammeln von Kotproben eine Herausforderung. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Fährtenleser der BaBongo. Drei Jahre folgten wir in Teams von 2-3 Leuten den Spuren der Gorillas und sammelten Proben entlang ihrer Wanderwege und aus Nestern.

Die Gorilla-DNA stammt aus Zellen des Verdauungstraktes, die als Teil des Kots ausgeschieden werden. Anders als bei DNA aus Blutproben handelt es sich dabei um mehr oder weniger stark zersetzte Fragmente, die mit forensischen Methoden der Kriminaltechnik analysiert werden müssen, um bestimmte Tiere durch Genotypisierung zu identifizieren.

Die 681 verwertbaren Proben stammten von 98 Gorillas. In beiden Zeiträumen wurde die DNA von 39 Gorillas nachgewiesen, von 46 nur in der ersten Periode und von 59 nur in der zweiten. In einem weiteren Schritt wurden dann die Gruppen rekonstruiert, wofür die Funde aus den Nestern besonders wichtig waren. Die Zahl der Gruppen war in beiden Zeiträumen mit 10 bzw. 11 gemischten Gruppen ähnlich, in der ersten Periode wurden zudem zwei Junggesellengruppen gefunden.

Mit diesen Daten war es uns unter anderem möglich, die Lebensgeschichten einzelner Tiere zu rekonstruieren. Für das Weibchen LOG77 zum Beispiel sind 17 Jahre dokumentiert. Es wurde vor dem Jahr 2000 in der Gruppe Layon A geboren, wechselte zur Gruppe H, wo wir es 2005, 2006 und 2007 fanden, brachte einen Sohn zur Welt und schloss sich vor 2016 der Gruppe Pink an. Ein anderes Beispiel ist LOG8: Er zog 2005 und 2006 als Silberrücken allein umher und wurde 2006 Mitglied der Junggesellengruppe J. Im Jahr 2014 war er der Silberrücken der Gruppe Green und hatte mindestens zwei Töchter.

Im Untersuchungszeitraum von 12 Jahren bildeten sich 6 neue Gruppen, 5 lösten sich auf und 40 Gorillas wechselten den Verband. Vier von 17 Gruppen konnten wir über einen Zeitraum von 8-12 Jahre verfolgen. Welche Faktoren die Gruppendynamik steuern, muss noch untersucht werden. In unserer Studie zeigten wir, dass nicht-invasive genetische Methoden effektiv genutzt werden können, um gruppendynamische Prozesse und die Stabilität von Gruppen über einen langen Zeitraum zu beobachten.

Laura Hagemann

Originalartikel
Hagemann, L. et al. (2018): Long-term group membership and dynamics in a wild western lowland gorilla population (Gorilla gorilla gorilla) inferred using non-invasive genetics. American Journal of Primatology 80 (8), 1-12