Die liebe Verwandtschaft

Kategorien: Ausgabe, Ausgabe 68, Systematik, Berggorillas, Grauergorillas, Cross-River-Gorillas, Systematik

Mitglied der Chimanuka-Gruppe, Kahuzi-Biega (© Wolfram Rietschel)

Gorillas werden in zwei Arten und vier Unterarten unterteilt. In jüngerer Vergangenheit haben u. a. der Verlust ihres Lebensraums, Wilderei und Krankheitsausbrüche dazu geführt, dass drei der vier Gorilla-Unterarten als vom Aussterben bedroht eingestuft werden. Moderne Methoden zur Entschlüsselung des Erbguts, wie die genomweite Sequenzierung, erweitern unser Wissen über wildlebende Arten erheblich. Sie ermöglichen Einblicke in Populationsstruktur, Diversität, Evolutionsgeschichte und lokale ökologische Anpassung der Arten. Dieses Wissen ist für heutige und zukünftige Erhaltungsbemühungen von entscheidender Bedeutung, da es zur Identifizierung gefährdeter Populationen und zur Entwicklung effektiver Schutzmaßnahmen genutzt werden kann.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie zur Evolutionsgeschichte der Gorillas basierend auf genomischen Daten ergab, dass sich die Westlichen Gorillas (Gorilla gorilla) und die Östlichen Gorillas (G. beringei) vor etwa 150 000-180 000 Jahren voneinander getrennt haben. Weitere Aufspaltungsereignisse in die heute bekannten Unterarten erfolgten innerhalb der Westlichen Gorillas bereits vor etwa 80 000 Jahren (in Westliche Flachlandgorillas und Cross-River-Gorillas), während sich die Östlichen Gorilla-Unterarten (Berggorillas und Grauergorillas) erst vor 10 000-20 000 Jahren voneinander trennten. Allgemein wird davon ausgegangen, dass es zunächst zur Aufspaltung zwischen den Vorfahren der Grauergorillas und der Berggorillas kam und im Anschluss die Trennung der beiden Berggorillapopulationen Bwindi und Virunga stattgefunden hat.

Ein bemerkenswerter Befund der neuen Studie ist jedoch die nähere genetische Verwandtschaft zwischen Grauergorillas und Virunga-Berggorillas als zwischen Virunga- und Bwindi-Berggorillas. Darüber hinaus liefern die genetischen Analysen Hinweise auf eine nachträgliche genetische Durchmischung zwischen den Populationen. Die Entwicklungsgeschichte der Gorillas scheint also komplexer zu sein als bisher angenommen. Beispielsweise kam es in jüngerer Vergangenheit (vor rund 9000-12 500 Jahren) zu Genfluss zwischen Cross-River-Gorillas und Grauergorillas - vermutlich erst nach der Aufspaltung in Grauer- und Berggorillas. In Anbetracht des heutigen Verbreitungsgebiets scheint diese Beobachtung erst einmal überraschend. Dennoch lassen sich die Ergebnisse nachvollziehbar erklären: mit sich ändernden Umweltbedingungen während der letzten Eiszeit und darauffolgenden feuchteren Klimaperioden in Afrika. Diese Klimawechsel könnten die Ausdehnung und Schrumpfung von Gorillagebieten begünstigt haben.

So schlagen die Verfasser*innen der Studie folgendes Szenario vor: Nach dem Split zwischen Westlichen und Östlichen Gorillas, aber vor dem letzten Eiszeitlichen Maximum (vor 50 000-26 000 Jahren), hatten die Östlichen Gorillas ein weites Verbreitungsgebiet, das sich über große Teile Ostafrikas erstreckte. Während des letzten Eiszeitlichen Maximums (vor 26 000-20 000 Jahren) veränderte sich die Landschaft durch niedrigere Temperaturen, weniger Regen und sinkende Luftfeuchtigkeit. Wälder wurden zu Savannen und Seen trockneten aus. Im Zuge dieser Veränderung kam es zur Trennung der Virunga- und der Bwindi-Berggorillas. Als die Feuchtigkeit wieder zunahm (vor ca. 14 500 Jahren), füllten sich Seen und Wälder expandierten; so konnten sich die Virunga-Gorillas in Gebieten ausbreiten, in denen heute Grauergorillas vorkommen. Zeitgleich kam es zur Ausbreitung der Cross-River-Gorillas Richtung Osten, wodurch es zum genetischen Austausch mit den Vorfahren der heutigen Grauergorillas kommen konnte. Nach dem Ende der feuchten Periode (vor 6000-5000 Jahren) gingen die geeigneten Habitate erneut zurück und dadurch wurden die Populationen isoliert. Anthropogene Einflüsse haben dies im Weiteren noch verstärkt.

Das Forscherteam beschreibt darüber hinaus, dass Westliche Gorillas eine höhere genetische Diversität aufweisen als Östliche Gorillas. Dennoch scheinen die sehr kleine Populationsgröße der Cross-River-Gorillas und der drastische Rückgang der Population in den letzten 200-250 Jahren Spuren im Genom hinterlassen zu haben. So ist deren genetische Diversität im Vergleich zu den Westlichen Flachlandgorillas deutlich reduziert. Insbesondere sind allerdings die Berggorilla-Populationen aufgrund ihrer begrenzten und fragmentierten Verbreitungsgebiete in den vergangenen 100 000 Jahren stark zurückgegangen und weisen vermutlich auch daher eine höhere Inzuchtrate auf. Die stärkere Ausprägung bei den Virunga-Berggorillas ist unter anderem auf Flaschenhalseffekte in der Population in den 1960er Jahren zurückzuführen.

Obwohl es zu aus geologischer Sicht jüngeren Genflussereignissen kam, zeigen alle Gorilla-Unterarten lokale Anpassungsmerkmale. Es gibt Gene, die unter Selektion stehen, und jede Unterart hat einzigartige Genvarianten. Diese Gene lassen sich den funktionalen Kategorien Immunität, Ernährung, Muskelentwicklung, Haarmorphologie und dem Verhalten zuordnen und sind potenziell wichtig für lokale Anpassungen. Sehr anschaulich lassen sich diese hier dargestellten funktionalen Unterschiede anhand der verschiedenen Ernährungsweisen der Populationen nachvollziehen. Besonders der relative Anteil von Früchten in der Nahrung variiert stark. Auch unterschiedlichen Krankheitserreger, verschiedene Habitate und Unterschiede in der Sozialstruktur könnten mit den Beobachtungen in Verbindung gebracht werden.

Insgesamt bietet diese umfassende Genomanalyse wertvolle Einblicke in die Vielfalt der Gorillas, ihre lokalen Anpassungen und evolutionären Beziehungen. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung genomischer Ressourcen für die Entwicklung von Schutzstrategien für diese stark gefährdeten Primaten.

Zusammenfassung von
van der Valk, T., Jensen, A., Caillaud, D. & Guschanski, K. (2024): Comparative genomic analyses provide new insights into evolutionary history and conservation genomics of gorillas. BMC Ecology and Evolution 24, 14