Kultur bei Gorillas?
Kategorien: Ausgabe 55, Verhalten, Gorilla Journal
Die Frage, ob nicht-menschliche Primaten kulturelle Unterschiede in ihrem Verhalten zeigen, trägt wesentlich zum Verständnis der Entwicklung von Kultur beim Menschen bei. Kultur in diesem Sinn ist definiert als typische Verhaltensweise, die in einer Gruppe auftritt und durch soziales Lernen weitergegeben wird.
Untersuchungen an zahlreichen Arten legen nahe, dass es Traditionen und Kultur bei Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans, Kapuzineraffen, Klammeraffen, Meerkatzen, Delfinen und Walen gibt. Kulturelle Unterschiede können in den Bereichen Ernährung, Nahrungssuche, Werkzeuggebrauch und bei sozialen Interaktionen auftreten.
Unter den Menschenaffen ist für die Gorillas am wenigsten über kulturelle Unterschiede bekannt. Die Gattung Gorilla umfasst zwei Arten, die Westlichen und die Östlichen Gorillas. Sie sind räumlich etwa 1000 km getrennt und haben sich genetisch vor 1,2 bis 3 Millionen Jahren aufgespalten. Jede Art umfasst zwei Unterarten. In unserer Studie wurden die beiden Unterarten Westliche Flachlandgorillas und Berggorillas untersucht.
Wir werteten Daten habituierter Gorillagruppen von fünf Standorten aus. Drei Gruppen Westlicher Gorillas wurden in Bai Hokou (Dzanga-Ndoki-Nationalpark, Zentralafrikanische Republik), drei Gruppen im Mondika Research Center (Zentralafrikanische Republik) und eine im Moukalaba-Doudou-Nationalpark (Gabun) beobachtet. Bai Hokou und Mondika liegen etwa 60 km voneinander und etwa 800 km von Moukalaba-Doudou entfernt. Die zwei Berggorilla-Populationen sind etwa 30 km voneinander getrennt, 3 untersuchte Gruppen leben im Vulkan-Nationalpark und eine Gruppe im Bwindi-Nationalpark.
Wir stellten eine Liste von 41 Verhaltensweisen zusammen und notierten, wie häufig sie an den einzelnen Orten beobachtet wurden. Dabei ergab sich, dass 23 davon potenziell kulturell bedingt waren, da sie an mindestens einem Ort häufig oder gelegentlich auftraten, aber an einem anderen Ort ganz fehlten. Von diesen Verhaltensweisen betraf eine die Nahrungssuche, 9 den Lebensraum, 7 soziale Interaktionen, 5 waren Gesten und eine bezog sich auf die Kommunikation. Etwa die Hälfte der kulturell bedingten Verhaltensweisen variierte innerhalb einer Art, die andere Hälfte unterschied sich zwischen Westlichen Gorillas und Berggorillas. Vieles konnten wir noch nicht klären; weitere Forschung ist nötig.
Zusammenfassung eines Artikels von Martha M. Robbins und Ko-Autoren (s. u.)
Verhaltensunterschiede bei Gorillas (Auswahl)
Verhaltensweise Berggorillas Westliche Flachlandgorillas
Karisoke Bwindi Moukabala Bai Hokou Mondika
Zähne beim Klettern als fünfte Gliedmaße verwenden - +++ + - +
Betrachten des eigenen Spiegelbilds im Wasser ++ - - + +
Im Spiel den Berg hinunterrollen +++ + - ++ -
Im flachen Wasser sitzen - - +++ - -
Nach dem Regen Wasser vom Arm lecken - + ++ - -
Beim Gehen Arme auf den Rücken eines anderen legen +++ - ++ + +++
Fangen spielen um einen Baum herum +++ - ++ + +
Kinder spielen auf dem Silberrücken +++ +++ + - +++
Kinder spielen mit dem Silberrücken +++ + - + +++
Schlagen gegen Bäume als Imponierverhalten - +++ +++ +++ +
Mit der Hand auf den Kopf klopfen +++ + - - -
Pflanze im Mund beim Imponieren +++ - +++ +++ +++
Früchte am Arm oder Körper reinigen * - +++ +++ +++
Bau von Brücken zur Überquerung von Wasser - - - + +++
Nest auf dem Boden - - +++ +++ +++
Hände als Trinkschale verwenden - - +++ ++ +
Aufrechtes Waten durch Wasser - - +++ +++ +
Frauen umarmen den Silberrücken nach Imponieren +++ +++ - - -
Grooming (Fellpflege) zw. Silberrücken und Frauen +++ +++ + - -
Grooming zwischen Gorillafrauen +++ +++ - - -
Händeklatschen - - +++ +++ +++
Imponierverhalten im Wasser - - ++ ++ -
Luft durch die gespitzten Lippen blasen ++ + - - -
* abhängig von ökologischen Bedingungen
Wie lässt sich die Existenz von Kultur bei Wildtieren nachweisen? Bei der Ausschluss-Methode wird das Vorkommen bzw. die Abwesenheit eines bestimmten Verhaltens in verschiedenen sozialen Gruppen oder Populationen untersucht. Man nimmt an, dass eine Verhaltensweise kulturell bedingt ist, wenn sie häufig oder gelegentlich bei den Mitgliedern einer Gruppe vorkommt, in einer anderen Gruppe aber fehlt.
Soziales Lernen sollte eine Rolle spielen und ökologische sowie genetische Ursachen für das unterschiedliche Auftreten des Verhaltens sollten ausgeschlossen werden.
Originalartikel: Robbins, M. M., Ando, C., Fawcett, K. A., Grueter, C. C., Hedwig, D., Iwata, Y. et al. (2016) Behavioral Variation in Gorillas: Evidence of Potential Cultural Traits. PLoS ONE 11(9): e0160483