Tödliche Angriffe
Kategorien: Ausgabe 63, Ökologie, Verhalten, Sonstige Länder, Westliche Flachlandgorillas
Im Jahr 2019 haben wir im Loango-Nationalpark, Gabun, zwei tödliche Angriffe von Schimpansengruppen auf Gorillas beobachtet, die ungefähr eine Stunde dauerten. Die Gorillas wehrten sich, doch letztlich starben dabei zwei Gorillababys. Solche Begegnungen zwischen den beiden Menschenaffenarten waren nie zuvor beobachtet worden.
Der Loango-Nationalpark ist ein sicherer Lebensraum für zahlreiche gefährdete Tierarten, darunter Schimpansen und Westliche Flachlandgorillas. Sie teilen sich die Nahrung und ihr Verhalten kann gut beobachtet werden. 2017 startete die systematische Datensammlung zum Verhalten von Schimpansen der Rekambo-Gruppe. Während unserer täglichen Arbeit mit den Schimpansen ist der Kontakt zu den Gorillas meist indirekt - es gibt nur Spuren im Schlamm oder Nahrungsreste. Vor 2019 sahen wir selten Begegnungen zwischen Schimpansen und Gorillas, und diese schienen ziemlich entspannt zu sein.
Die beiden tödlichen Treffen 2019 verliefen deutlich anders. Das erste ereignete sich, als 27 Mitglieder der Rekambo-Gruppe in das Revier einer anderen Schimpansengruppe eingedrungen waren und sich nach einigen Stunden auf dem Rückweg befanden, ohne andere Schimpansen getroffen zu haben. Stattdessen stießen sie auf eine Gorillagruppe. Die Auseinandersetzung begann mit dem lauten schrillen Schrei eines Schimpansen, gefolgt von Bellen - wenige Sekunden später war der Lärm ohrenbetäubend. Erst dann hörte man das für Gorillas typische Brusttrommeln. Mehrere Schimpansen sprangen den Silberrücken an und schlugen nach ihm, bis er die Flucht ergriff. Im Gedränge gelang es den Schimpansen, sich ein Gorillababy zu schnappen, das kurz darauf infolge von Misshandlungen starb. Die Begegnung endete mit dem völligen Rückzug der Gorillas.
Im zweiten Fall standen zwei Gorillamütter mit ihren Jungen im Zentrum des Angriffs. Nur eine konnte fliehen; die andere Mutter wurde von den Schimpansen umzingelt und verlor ihr Baby, das kurz darauf seinen Verletzungen erlag. Eine Schimpansin trug das tote Junge noch drei Stunden mit sich herum und fraß hin und wieder davon. Die anderen Schimpansen zeigten nicht viel Interesse, einige bekamen aber etwas von dem Fleisch ab.
Es gibt verschiedene Erklärungen für diese tödlichen Begegnungen, und die Diskussion dauert an. Es könnte eine Jagd gewesen sein mit Gorillababys als Beute. Eine andere mögliche Erklärung ist zwischenartliche Konkurrenz, denn die Angriffe ereigneten sich in einer Jahreszeit, in welcher das Nahrungsangebot in Loango knapp war und viele Tiere auf der Suche nach Früchten waren. Hinzu kommt, dass bei Konkurrenz typischerweise Arten im Vorteil sind, die größere Gruppen bilden - wie hier die Schimpansen, die gemeinsam angriffen. Eine dritte Erklärung ist, dass die Schimpansen die Gorillas grundsätzlich als Konkurrenten ansehen - in Bezug auf Nahrung und Raum (ähnlich wie andere Schimpansengruppen). Derzeit können wir nur spekulieren; das Verhalten von Schimpansen und Gorillas während ihrer Interaktionen muss weiter beobachtet werden.
Lara M. Southern
Originalveröffentlichung:
Southern, L. M., Deschner, T. & Pika, S. (2021): Lethal coalitionary attacks of chimpanzees (Pan troglodytes troglodytes) on gorillas (Gorilla gorilla gorilla) in the wild. Scientific Reports 11, 14673